5
Aug
2012

Auf die Zunge geschrieben (Auszug). Von Janajana.

Während ich auftrete mit festem tritt, umfängt mich erinnern. Stiehlt sich über die beine aufwärtshin, über bauch rücken bis zu den flügeln. Senkt sich auf meine stirn. Verändert den augenblick. Wie damals. VATER. Als ich wusste was liebe ist war es zu spät. Das erdreich krachte prasselte auf wehrloses holz. Nie werde ich verstehen. Spannungen. Zwischen den sekunden. Den jahren. Gleichen sich wie eineiige. Über generationen. Ich sitze in blühender wiese. Ich begreife nichts. Betrachte ratlos bogen und pfeil. VATER. Die Begegnung mit dir jahre danach war erschütternd. Du bist um die ganze welt. Sagtest du. Und alles alles sei anders. Und wenn er nun wiederkäme dieser frühling. Mitten ins erstarrte land. Flög ich zu dir zu dir. Doch weil ich kein windhauch bin windhauch bin. Zuckerzeug. Zergeht auf der zunge. Dass du noch einmal stirbst. Ich lass es nicht zu. Blaugefunkel hinter dicken brillengläsern. Augen so groß wie isarkiesel. Und du dessen hände mich nie. Möchtest mir helfen. Jetzt da ich nicht weiß wo du bist. Ich öffne die tür. Draußen das meer. Quer über die silberne fläche das gespannte seil. Schritt vor schritt. Hoffnung hält mich im gleichgewicht. Mit jedem atemzug fällt ein tropfen angst. Glüht auf eh er mit sich überschneidenden ringen im wasser versinkt. VATER. Dein mut macht mich stark. Kein kahlfraß unter später sonne seitdem du mir. Das buch auf meinem schoß. Diese leeren seiten. Du nahmst mich an die hand. Führtest mich unters dunkle dach grün. Im blaubeergestrüpp fand ich das erste wort. Unterm farn ein weiteres. Im moosstern im moosstern die andern. Jetzt schreib ich den text einer wölfin. Bernsteinfarben mein blick. Ich sehe im dunkeln. Mein gesträubtes fell. Wittere gefahr lange im voraus. Und fernab vom rudel gesundet mein herz. Jans offener blick. Al Qaida zu asche. Rauchspuren. Keine zeitung mehr.
Andreas Wolf (Gast) - 5. Aug, 22:22

Dichtung und Prosa

Habs erst als Prosa gelesen, da war es mir zu kryptisch verrätselt. Aber Herbst hat genau recht: es ist ein Gedicht. Und als Gedicht finde ich es plötzlich gut, ziemlich gut sogar. Wie kommt denn das? Seltsame Macht der Formen über unser Denken. Guter Einstieg jedenfalls, bin gespannt auf mehr Dichtung und Prosa aus Irsee.

Terpsi-chore (Gast) - 6. Aug, 09:41

Dass die Form mit sich selbst spielt

finde ich hier folgerichtig. Hier wird schließlich etwas entdeckt.
albannikolaiherbst - 5. Aug, 23:41

Dieser Text ist -

- und ich möchte das gerne erst einmal so beibehalten, von mir noch unlektoriert. Bevor ich die Einwände, Vorschläge etc., die ich während der Kurszeiten selbstverständlich schon lautwerden lasse, auch hier ins Netz schreibe, möchte ich gerne jedesmal abwarten, was von "unbeteiligten" Lesern an Reaktionen kommt. - Dies nur zur Klärung des von mir avisierten Verfahrens. Am Ende jedes Kommentarbaums soll dann der - vorübergehend - endgültige Text stehen.
ANH, 23.40 Uhr.

Schon der Titel deutet ein wenig auf ècriture automatique hin, eine spontane, gelockerte Zunge verbindet den Klang der Worte im Stakkato mit impulsiven Gedanken. Inhaltlich die Erinnerung an eine Vaterfigur, verstorben und wie immer, wie könnte es anders sein, eine ambivalente Gefühlsbeziehung: Spannung, Abstossung und gleichzeitig Anziehung. Der Sarg des Vaters als "wehrloses Holz" hat mir gefallen, manch andere Worte waren mir zu sehr aus dem Schmuckkästchen ästhetischer Romantik: moosstern, blaubeergestrüpp, bernsteinfarben, Windhauch, Zuckerzeug, also ein wenig zu gesüßt, aber die Metapher eines weiblichen Wolfs, der Gefahr wittert, dessen Herz aber nur auf sich gestellt "gesundet", bringt eine ganz nette Verfremdung hinein. Das Politische in Form des Wortes "Al Quaida" steht etwas zusammenhanglos im Text. Ich kann es nur als eine Zeitungsmeldung interpretieren, deren Texten man oder in diesem Fall Frau, da bin ich mir ziemlich sicher, sich zu entziehen wünscht, weil man der Nachrichtenwelt misstraut und vor allem ihrer Sprache. Finden sie alle also eine bessere, poetischere in den nächsten Tagen.
Ich wünsche Ihnen und allen Teilnehmern viel Erfolg!

Obermeister (Gast) - 6. Aug, 00:51

Zitat

Wir sind alle Lehrlinge in einem Gewerbe,
in dem es niemand je zum Meister bringen wird.

Ernest Hemmingway
Terpsi-chore (Gast) - 6. Aug, 09:38

Der Text einer Wölfin

Ein starker Text, der mich sehr berührt. Er geht - bei mir - unter das Moos, das angesetze.
Zur Form kann ich sagen, dass mir die Leerstellen sehr gefallen. Weil unsere Phantasie größer ist als das Nichtgeschriebene. Das gibt dem Text mehr Raum, macht ihn im eine Dimension reicher.

Ich weiß nicht, warum man zwangsweise die Großschreibung ignorieren muss, das trägt nichts bei zum besseren Verstehen; es strengt nur die Augen mehr an, nicht aber den Geist.

Mich würde interessieren was Herr Herbst dazu schreibt.

Neugierigst
-
T.

@Großschreibung

Ganz wird sie ja nicht ignoriert. Das stilistische Formprinzip, den jeweiligen Anfang groß und den Rest klein zu schreiben wird konsequent durchgehalten. Das dreimalige "VATER" könnte in seiner Doppelbedeutung auch religiös gemeint sein oder nur ein besonderes Machtverhältnis der Figur ausdrücken wollen, eine Art Anrufung. Das formale Element der Kleinschreibung ist wohl auch der Unentschiedenheit zwischen Prosa und Gedicht geschuldet. Anders gesetzt, als Gedicht, würde die Schreibweise mehr Sinn machen.
Schlecht ist der Text auf keinen Fall und durchaus sensibel poetisch. Muss man/frau erst einmal so hinbekommen. Ich wäre auf den ganzen Text gespannt.
Terpsichore - 6. Aug, 12:19

Ja, ich auch.

Die Eröffnung lässt mir auch ein Rätsel. "Während ich auftrete..." Wo? Wann? Das ist wohl kein normaler Spaziergang durch den Wald. Oder doch? Was bedeutet das Auftreten? Ist es der Tritt der Füße?
Außer dass es im Dunkeln ist, kann ich es nicht richtig verorten. Aber gerade das macht es spannend. Vielleicht gibt es ja keinen konkreten Ort.
JanaJana (Gast) - 7. Aug, 17:00

@Bücherblogger

danke. weiterer Text folgt...

Was den Ort betrifft, sicher kein konsistenter, außer in der Imagination. Der oder die dort durch die Welt läuft hat am Anfang Flügel und Pfeil und Bogen. Es evoziert bei mir das Bild eines Engels, vielleicht ein weiblicher Amor. Die Kulisse wechselt dann zum Meer und am Schluß wieder auf eine Art Waldboden. Es sind märchenhafte Elemente darin mit vielen Naturbildern. Gerade über die Natur werden aber auch die Worte gefunden, die anscheinend der VATER in ihr hinterlassen hat. Immer mehr verstärkt sich in mir der Eindruck beim Nochmallesen, dass die Klosteratmosphäre ihre Spuren in dem Text auch hinterlassen hat. Der Leser ist unweigerlich gezwungen, selbst ständig die wechselnden Bilder zu einer Gesamtprojektion zusammenzusetzen. Verletzbare Weiblichkeit, der starke Instinkt einer Wölfin, als müsse sie sich ihrer Natur verteidigen, gegen den Vater, gegen Gott oder es läuft gar ein sich metaphorisch verwandelnder Engel durch Afghanistan.
Kursteilnehmer - 8. Aug, 15:28

auf die zunge geschrieben - auszug 2 - von JanaJana

Ganz der vater. Die tanten vor allem. Auch die nachbarinnen. Ja. Ganz der vater sei ich gewesen. Erzähle ich Jan. Der vater? Der war doch riesig. So wie auch seine augen hinter diesen dicken gläsern. Und sein haar. Es war dunkel. Nahezu schwarz. Das meine hingegen. Was verstand ich schon. Kind das ich war. VATER. Warst mir felsblock im see. Durch meine beine getaucht. Auf deine schultern genommen. Kopfüber ins wasser. Blaugrüner see. Weicher sand unter den sohlen. Aber alles ist anders. Meinem vater so nah so nah wie niemals in seinem leben. Seinem viel zu kurzen leben.
Ich ertappe mich wie ich anfange beim gehen mit den armen zu rudern. Ich ertappe mich wie ich beim zuhören den kopf neige. Schräg zur seite. Nicht zu der seite des erzählers. Nein. Zur entgegengesetzten. Ich ertappe mich auch wie ich beginne mit den fingern zu schnippen wenn ich dem gehörten widersprechen will. Wie Jan! fährt es mir durch den kopf. Ganz wie Jan. Höre ich meine tanten flüstern. Die nachbarinnen. Die alle längst gestorben. Wie Jan wie Jan hallt das echo mir im ohr. Wie vater. Wie Jan. Wie wie… Nein! schreie ich in den novembertag. Nein! Ich bin… und Jan bringt mir auf weißem auf grauem auf kariertem papier sein wörtergeschenk.
Lege ihm ein wort in den mund – schon lässt er es auf der Zunge zergehen. Erkläre ich dem wirbelnden laub dem müden licht der sinkenden sonne. JAN. Der wundersame wortvermehrer. Jedes einzelne wort kostet er aus. Prüft es auf seinen geschmack. Ertastet sein volumen. Zieht es durch die zähne. Drückt es gegen den gaumen. Befühlt es mit seiner zunge. Schiebt es von rechts nach links von links nach rechts. Presst es gegen die zum kussmund geformten lippen (beschmeckt beschmatzt beschnuppert) und spuckt derer hundert wieder aus. Oder aber: sein mund ist bruthöhle: ein wort hinein und siebenunddreißig neue ausgebrütet. Oder: sein mund ist eine wortmühle: ein wort zwischen die mühlsteine und wortstaub nimmt mir den atem. Worte zermahlen bis ins kleinste molekül. Dann rasch zusammengefügt zu neuem. Oder er ist magier zaberer: verschluckt nichts als ein graues luftgebilde und – abrakadabra – lässt es perlen und glänzen und funkeln. Klimpern und klingeln und summen. Ich staune mit offenem mund. Ohne befruchten kein gebären. Meint Jan und nimmt mich in den arm. Still flüstere ich. Es sind die volkale nur die vokale. Wie neid ich ihnen ihren klang. Sie sind durch sich und ich… Bin konsonant der ohne klang erstickt…




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